Klimakrise & Kolonialismus – meine Rede auf dem 11. globalen Klimastreik – Philipp Ahovi

Mit FridaysForFuture hatte ich bis vor wenigen Wochen nicht viel zu tun. Noch vor zwei Monaten hätte ich es daher auch für unwahrscheinlich gehalten, bei einem Klima-Streik eine Rede zu halten. Doch wie es der Zufall wollte, ist genau das eingetreten. „People Not Profit“ war das Motto, unter dem die Kundgebungen am 23. September stattfanden. Klimagerechtigkeit sollte diesmal stärker imVordergrund stehen. Als ich von den Organisator*innen der Hamburger Ortsgruppe gefragt wurde, ob ich dort eine Rede über Klima & Kolonialismus halten könnte, entgegnete ich zunächst, dass ich mich persönlich nicht im intersektionalen Klima-Aktivismus engagiere und es geeignetere Personen geben müsse, um über dieses Thema zu sprechen. Ich dachte dabei an existierende, selbstorganisierte Gruppen wie das Black Earth Kollektiv. Doch es fand sich niemand, die Zeit wurde knapp und schließlich sagte ich zu. Nicht, weil ich mich für am geeignetsten hielt, sondern weil ich nicht wollte, dass am Ende auf dem 11. globalen Klimastreik in Hamburg nicht über Kolonialismus gesprochen wird. Diese Rede habe ich am 23. September auf der Willy-Brandt-Straße gehalten.

 
Foto von: Azul Lebrija Castillo (Instagram: @blueinspanish)

Leute, wir haben in diesem Jahr schon einiges gesehen. Erdrutsche und Überschwemmungen in Brasilien. Eine massive und tödliche Hitzewelle in Indien und Pakistan. Anhaltende Dürren am Horn von Afrika; eine Hungersnot, die Millionen von Menschen getroffen hat. Und der Anstieg des Meeresspiegels, der z.B. die 10-Millionenstadt Jakarta und etliche Inselstaaten vor unlösbare Probleme stellt. In weiten Teilen des Globalen Südens hat die Klimakrise nicht nur tausende Menschenleben gekostet, sie zerstört bereits jetzt die Existenzen ganzer Städte, Regionen, Länder und der dort lebenden Gesellschaften.

Ich sage jetzt etwas, das vermutlich inzwischen den meisten hier klar ist. Auf der Welt gibt es eine massive Diskrepanz zwischen der Verantwortung für den Klimawandel und der Betroffenheit von den Folgen des Klimawandels. Der globale Norden hat heute mehr als 75% der historischen Treibhausgasemissionen zu verantworten. Allerdings sind es die Länder des Globalen Südens, die für die Folgen der Klimakrise den höchsten Preis zahlen. Die Klimakrise ist eine Krise gravierender Ungerechtigkeit und die bittere Wahrheit ist, dass diese Ungerechtigkeit politisch aufrechterhalten wird. Denn die Verantwortung für den Schaden, den die Klimaerwärmung im Globalen Süden anrichtet, wird von EU-Staaten und den USA auf internationaler Ebene immer noch erfolgreich verweigert, wie wir es auch auf der letzten Weltklimakonferenz in Glasgow gesehen haben: Der Globale Süden wird im Stich gelassen.

Indien, Pakistan, Indonesien, Brasilien, Somalia und Äthiopien, sie alle haben etwas gemeinsam: Sie wurden kolonisiert. Wie viele weitere Länder und Regionen dieser Erde, die nun mit voller Wucht von der Klimakatastrophe getroffen werden.

Was hat unseren Wohlstand im globalen Norden ermöglicht? In Staaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder den USA? Warum kann Holland immer höhere Deiche und schwimmende Städte zum eigenen Schutz gegen den Meeresspiegelanstieg bauen, während in Bangladesch oder Durban ganze Siedlungen und Ernteflächen überschwemmt werden? Dieser Wohlstand und ebenso der massive Ausstoß an Treibhausgasen sind Folgen der Industrialisierung. Und diese Industrialisierung wäre ohne die jahrhundertelange Kolonisierung, Ausbeutung, und den massiven Raubbau von Ressourcen auf anderen Kontinenten nicht möglich gewesen.

Wir müssen über Kolonialismus sprechen.

Denn auch die Klimakrise ist untrennbar mit der Geschichte des Kolonialismus und den bis heute fortbestehenden kolonialen Machtverhältnissen verbunden. Der koloniale Raubbau von natürlichen Ressourcen in Afrika, Asien und Lateinamerika hat den gewaltigen „Erfolg“ des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems und als Konsequenz auch die Entfaltung der Klimakrise erst ermöglicht. Bis heute bestehen koloniale Machtverhältnisse und institutionalisierte rassistische Hierarchien fort: In globalen Wirtschaftsbeziehungen, Gesetzgebungen, internationalen Organisationen oder geopolitischen Kontexten. Und auch das trägt dazu bei, dass der Klimawandel so verheerende Auswirkungen auf ehemals kolonisierte Länder und Gesellschaften des Globalen Südens hat.

Gleichzeitig werden auch in den Ländern des globalen Nordens Communities von Schwarzen, Indigenen und Menschen of Color unverhältnismäßig stark von den Auswirkungen des Klimawandels getroffen. Denn struktureller Rassismus erschwert auch den Zugang zum Wohnungsmarkt und zum Gesundheitssystem. Die Auswirkungen dessen zeigen sich beispielsweise in den USA durch deutlich höhere Sterberaten bei BIPoC aufgrund von klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen und Wirbelstürmen.

Wir müssen über Kolonialismus sprechen. Und zwar dringend, denn auch innerhalb der Klimabewegungen im Globalen Norden – also auch in Deutschland – wird zu wenig über Kolonialismus gesprochen. Und das ist gefährlich, denn die Klimakrise ist auch eine Krise kolonialer Ungerechtigkeit. Und wenn wir diese Ungerechtigkeit nicht erkennen, werden wir klimapolitische Maßnahmen und Pseudo-Lösungen hinnehmen, die diese Krise nicht lösen, sondern lediglich die bestehenden Ungerechtigkeitsdynamiken weiter verfestigen. Das passiert vor unseren Augen. Im Europäischen Green Deal wurden Maßnahmen beschlossen, die das asymmetrische Abhängigkeitsverhältnis zwischen Europa und Afrika reproduzieren. Es wird sogar argumentiert, dass die tiefen europäischen Eingriffe in die Energie- und Produktionspolitiken afrikanischer Staaten dazu führen könnten, dass diese weniger nationalen Spielraum für eigene sozial-ökologische Transformationen haben (Claar 2021).

Ein weiteres Beispiel sind die CO₂-Ausgleichszertifikate: Die Idee, unser CO₂-intensives Leben hierzulande zu rechtfertigen, indem unsere Emissionen woanders auf Welt kompensiert werden. Es ist ja auch so schön einfach! Für den Komfort der CO₂-Neutralität zahlst du an der Tankstelle halt einfach noch einen Cent drauf! Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass der Markt für CO₂-Zertifikate nicht zu mehr Klimaschutz geführt hat. Im Gegenteil, diese Praxis hat zu massivem Greenwashing geführt und die Menschheit auf dem Weg zur Klimaneutralität gründlich betrogen. Die Idee der CO₂-Zertifikate zielt darauf ab, unsere Klimaschuld in den Globalen Süden auszulagern. Indirekt hat das in Afrika und Lateinamerika bereits zu massiver Landnahme und Militarisierung von „Naturschutzgebieten“ geführt, die vor Ort mit Vertreibungen, Gewalt und weiteren gravierenden Menschenrechtsverletzungen an lokalen und indigenen Bevölkerungen einhergehen.

Grüner Kolonialismus ist keine adäquate Antwort auf die Klimakrise.

Bei der Weltklimakonferenz in Paris 2015 wurden 2°C statt 1,5°C als vorrangiges Temperaturziel festgesetzt. Die Entscheidung für eine Temperaturgrenze von 2°C ist mit der Minimierung wirtschaftlicher Schäden im Globalen Norden kompatibel, jedoch nicht dem Schutz der meisten Menschen gewidmet. Denn ein durchschnittlicher Temperaturanstieg von 2°C ist bereits für viele Länder des Globalen Südens unhaltbar.

Klimaschutz und Dekarbonisierung sind unverzichtbar. Doch sie dürfen nicht auf Kosten des Globalen Südens gehen. Es reicht also nicht aus, nur für eine CO₂-neutrale Wirtschaft zu kämpfen. Wir müssen auch konsequent dafür kämpfen, dass diese ökologische Transformation eine dekoloniale und gerechte Transformation ist. Das koloniale Machtgefälle ist ein zentrales Element der Klimakrise. Der Weg zur Lösung der Klimakrise muss daher auch über gesellschaftliche Machtverschiebungen führen. Und daraus ergeben sich auch klare Forderungen:

  • Ausbeuterische Produktions-, Wirtschafts- und Lebensweisen auf Kosten der Ökosysteme und Menschen im Globalen Süden müssen beendet werden. Wir müssen parteipolitische und zivilgesellschaftliche Pläne darauf überprüfen, ob sie diese kolonialen Machtverhältnisse fortschreiben und sie dekolonialisieren.
  • Länder des Globalen Südens müssen für die historischen Treibhausgasemissionen des Globalen Nordens und deren Auswirkungen entschädigt werden („loss and damage“).
  • Menschen und Staaten des Globalen Südens müssen endlich gleichberechtigt in allen klimapolitischen Gremien und Prozessen beteiligt werden.  
  • Wir brauchen mehr Solidarität mit Umweltaktivist*innen im Globalen Süden. Sie sind für den weltweiten Aktivismus gegen die Klimakrise von entscheidender Bedeutung und oftmals in Lebensgefahr.
  • Das Gefälle in der Klimaforschung zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden muss behoben werden.
  • Auch im Globalen Norden müssen marginalisierte Menschen in politische Entscheidungsprozesse stärker einbezogen und mitbedacht werden. Das gilt u.a. für Schwarze Menschen, People of Color, Menschen ohne festen Aufenthaltsstatus, queere, trans*inter und nicht-binäre Personen oder Menschen mit Behinderung. Ihre Perspektiven werden für eine gerechte ökologische Transformation essentiell sein.

Ohne Gerechtigkeit können wir die Klimakrise nicht lösen, denn sie ist auch eine Folge von Ungerechtigkeit. Und der Einsatz für eine klimagerechte Welt muss auch ein Kampf gegen Kolonialismus sein. Klima- und Umweltgerechtigkeitsbestreben stehen in der Tradition antikolonialer Kämpfe weltweit. Um die Klimakrise an der Wurzel zu packen, müssen wir auch in Zukunft über Kolonialismus sprechen! Danke.

Nach ca. acht Minuten war meine Rede zu Ende. Ich sah tatsächlich nur sehr wenige Personen of Color in der Menschenmenge. Dieses Publikum war erstaunlich weiß. Weißer als Hamburg, in dieser Stadt habe drei Jahre lang gewohnt. Ich sah in die Gesichter von Schüler*innen, die sich im Laufe meiner Rede auf den Boden gesetzt hatten und mir aufmerksam zuhörten. Ich sah Pappschilder mit Aufschriften wie „We do not have a planet B“, „PeopleNotProfit“ und „Laubbläser abschaffen“. Und dann nahm ich in der Zuschauer*innenmenge auch gemischte Gefühle war. Da war viel Zustimmung und hörbarer Beifall, doch genauso spürte ich etwas anderes. Betretenheit, Unsicherheit, stiller Applaus. Diese acht Minuten haben viele nachdenklich gemacht. Nachvollziehbar. In Deutschland ist der politische Kampf für eine bessere Klimapolitik bereits langwierig, frustrierend, komplex und dringlich. Die Verwobenheit von Klimaungerechtigkeit und einem über Jahrhunderte entstandenen, weltweiten kolonialen Machtsystem, macht diesen politischen Kampf nicht einfacher. Es gibt noch viel zu tun.


Hey, ich heiße Philipp. Zweiter Name: Selom. Ich bin in einer Kleinstadt in Süddeutschland im Dreiländereck aufgewachsen. Ich studiere Geographie. Mit 14 habe ich das erste Mal ein rassimuskritisches Buch in die Hand bekommen: „Anleitung zum Schwarz sein“ von Anne Chebu. Dies war der Moment, in dem ich zum ersten Mal dazu in die Lage versetzt wurde, viele meiner Kindheits- und Jugenderfahrungen zu verstehen und sie zu artikulieren. Die Beschäftigung mit Rassismus und meinem Schwarz-Sein bringt viel Klarheit in mein Leben und wird mich vermutlich noch weiterhin lange begleiten. Es gibt verschiedene Dinge, die mich empowern. Zum Beispiel Musik. Im Laufe der letzten Monate konnte ich mich in diesem Projekt mit vielen interessanten Personen austauschen und anfreunden. Das hat mich persönlich weitergebracht.

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