Unser Projekt

„Perspektiven of Color“ 

…heißt unser Projekt. Wir sind eine Gruppe von Stipendiat:innen der Heinrich Böll Stiftung, die sich unter der Selbstbezeichnung BIPoC zusammengeschlossen hat [BIPoC ist eine Kurzform für „Black, Indigenous and People of Color“ bzw. „Schwarze, Indigene und Menschen of Color“]. Unser Ziel ist es, eine Plattform für die vielfältigen Perspektiven von BIPoC in Deutschland zu bieten. Dabei soll ein Netzwerk für BIPoC und nebenbei eine Bildungsplattform für die Allgemeinheit entstehen. Auf unserem Blog (www.perspektivenofcolor.de) wollen wir allen Menschen, die sich angesprochen fühlen die Möglichkeit geben, eigene Beiträge zu veröffentlichen, sich zu vernetzen und gemeinsam eine vielfältige und offene Sammlung an persönlichen Beiträgen entstehen zu lassen. Aufbauend darauf wollen wir einen Sammelband verfassen und weitere Treffen und Veranstaltungen wie Lesungen oder Empowerment-Workshops ins Leben rufen.

Perspektiven sind weit mehr als Standpunkte, aus denen etwas betrachtet wird. Sie sind Geschichten, Anschauungen, Aspekte, Möglichkeiten, Hoffnungen und Erwartungen. Der Projektname „Perspektiven of Color” legt zugrunde, dass BIPoC eigene und besondere Blickwinkel auf wichtige Themen haben, und dass ihre Perspektiven gesellschaftlich relevant sind.

Was ich nicht selbst erlebe, kann ich nur dann verstehen, wenn sich andere darüber äußern. Was ich über meine eigene Wirklichkeit äußere, kann aber auch diejenigen stärken, die dasselbe erleben. In den letzten Wochen und Monaten konnten wir beobachten, wie sich eine ungewöhnlich hohe Aufmerksamkeit auf BIPoC richtete. Die Bereitschaft, sich mit den Geschichten, Gedanken, Träumen, Ansichten, Gefühlen und Beobachtungen von BIPoC zu beschäftigen, hat vor dem Hintergrund einer offenen Rassismus-Debatte in Deutschland zugenommen. Insbesondere Journalist:innen, Schriftsteller:innen und Politiker:innen erfahren in diesen Tagen viel öffentliche Aufmerksamkeit. Doch oftmals wird dabei vergessen, dass allein unsere Geschichten und Blickwinkel schon sehr vielfältig und verschieden sind. Die Personen, die als Sprecher:innen unserer diversen Communities in der Öffentlichkeit stehen, können die komplexen und vielfältigen Realitäten von BIPoC in Deutschland nicht allein repräsentieren. Auch wer kein wichtiges Amt innehat, und nicht professionalisiert schreibt, hat etwas zu sagen. Diese Personen haben ebenso viel zu erzählen und bereichern den Diskurs. Wir denken, es braucht eine Bühne, die für alle da ist! Gerade in diesen Tagen, da in Deutschland eine offene Rassismus-Debatte begonnen hat, die von fehlenden Perspektiven gekennzeichnet ist.

Viele Menschen setzen sich nun erstmals – ob freiwillig oder unfreiwillig – mit einem tiefsitzenden Problem unserer Gesellschaft auseinander. Ja, auch in Deutschland gibt es Rassismus. Hinter dem Wort verbirgt sich eine Denkweise, die sich von den kleinsten Facetten bis in die größten Gefahren unseres Zusammenlebens erstreckt. Das Spektrum reicht von seltsamen Bemerkungen am Arbeitsplatz bis zu tödlichen Übergriffen. Dieser Dialog ist unangenehm und schwierig, das gilt wohl für beide Seiten. Zum einen für diejenigen, die selbst von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind und auf ungläubige Ablehnung oder Beschwichtigungsversuche treffen, wenn sie darauf hinweisen. Zum anderen für diejenigen, die auf eine unbequeme Weise mit den eigenen blinden Flecken konfrontiert werden und dazu neigen, sich angegriffen zu fühlen und entsprechend empfindlich zu reagieren. Jetzt, da über Rassismus gesprochen wird, zeigt sich die weite Distanz zwischen den Lebenswirklichkeiten umso offenkundiger. Oftmals gibt es keine gemeinsame Gesprächsgrundlage auf der dieser Dialog auszutragen wäre. Aus der Sicht einer weißen Person ist es nicht gerade leicht zu begreifen, was BIPoCs in Deutschland erleben. Und trotzdem; durch aufrichtiges Interesse und eine ehrliche Auseinandersetzung beginnen einige weiße Personen in diesen Tagen damit, Rassismus bewusst wahrzunehmen. Dadurch wird erkennbar, dass es oft auch einfach das Unwissen ist, was uns in diesem Dialog trennt und dass wir diese Kluft überwinden können, indem wir uns weiterbilden.

Bildung ist weit mehr als die Aneignung von Wissen. Bildung ist der neue Einblick, den man bekommt, wenn man einfach nur zuhört. Bildung ist das Interesse für andere Menschen und für eine Geschichte aus einem anderen Blickwinkel. Bildung ist das Verwerfen und Erneuern der eigenen Ansichten. Bildung ist Austausch und Empowerment, verstehen und verstanden werden. Man kann sagen, dass wir in diesen Tagen bereits im Streit darüber, ob es Rassismus wirklich gibt aneinandergeraten. Solange nur wenige über unseren gesellschaftlichen Kontext und die Lebenswirklichkeiten von BIPoC im Bilde sind, werden wir weiterhin aneinander vorbeireden als sprächen wir in unterschiedlichen Sprachen. Wir müssen uns unvoreingenommen aufeinander einlassen, denn es geht um sehr viel mehr als nur Rassismus und Diskriminierung. Es geht darum, unsere Mitmenschen wahrzunehmen.

Deutsch sein heißt nicht weiß sein.

Begegnungen mit BIPoC sind Alltag in Deutschland. BIPoC sind Schulfreund:innen, Arbeitskolleg:innen, Nachrichtensprecher:innen, Eltern, Ärzt:innen, etc. Seltsam ist, wie wenig die meisten über die Lebenserfahrungen ihrer nicht-weißen Mitmenschen wissen. Da man sich gerne in der angenehmen Gewissheit wiegt, dass doch im Grunde genommen alles in Ordnung und normal sei, ist Vielen auch nicht klar, dass sie nur sehr wenig wissen. Deutsche BIPoC werden auch heute noch oftmals als nicht-deutsch oder als Ausnahme eingeordnet, mit direkten Auswirkungen auf ihren Alltag. Gleichzeitig berufen sich viele Personen auf die Idealfantasie der „Farbenblindheit“ (siehe Rassismuskritisches ABC: „Color Blindness“). Häufig fällt der Satz: „Hautfarben spielen für mich keine Rolle.“ Diese Einstellung bringt uns allerdings nicht weiter. Hautfarben sollten keine Rolle spielen, tun es aber. Wenn man als BIPoC jedoch Themen der Hautfarbe anspricht, stößt man häufig auf Widerstand. Es ist daher oftmals unkomplizierter, sich selbst und die eigenen Erfahrungen zu zensieren. Dem wollen wir entgegenwirken, denn…

Unsere Perspektiven sind essenziell.

 „Perspektiven of Color“ erwuchs aus einem Grundgefühl, das heute viele BIPoC in Deutschland teilen: Es wird Zeit, dass wir uns aktiver in etliche Fragen der Gesellschaft einbringen. Damit verbunden ist, dass wir in allen Lebensbereichen sichtbarer werden.

Wenn du dich als BIPoC identifizierst, kannst du auf unserer Plattform aktiv werden und deine eigenen Beiträge veröffentlichen! Dabei hast du einen großen Freiraum bei der Gestaltung deiner Beiträge. Von Essays und Aufsätzen über Gedichte und Kurzgeschichten bis hin zu Comics, Fotos, Podcasts oder Filmen kann alles dabei sein. Die Inhalte können alle erdenklichen Aspekte des Lebens aufgreifen und somit auch über das Thema Rassismus hinausgehen. Worüber gesprochen wird, steht uns frei. Neben persönlichen Beiträgen bietet unser Blog auch eine Plattform für Beiträge und Kommentare auf das aktuelle Zeitgeschehen. Unser Netzwerk soll außerdem dazu dienen, einen gemeinsamen Wissensschatz aufzubauen. In einem Bereich für Ressourcen und Empowerment sollen sich Empfehlungen für Bücher, Texte, Persönlichkeiten, Accounts, Filme, Videos, Kunst, Musik, und Podcasts sammeln.

Inspiriert wurde unsere Idee durch das „Hear Me Out“-Buchprojekt (initiiert von Ellen Gabriel & Whitney Bursch), in dem 20 Artists of Color von ihren Erlebnissen mit Rassismus und struktureller Benachteiligung in Deutschland berichten. Dieses Projekt startete ebenfalls mit einem Open Call – und es entstand ein vielseitiger und schöner Sammelband an rassismuskritischen Comics, Texten und Gedichten.

Unser Projekt richtet sich an alle BIPoC.

Vernetzt sind wir keine Einzelkämpfer:innen mehr, sondern eine Gruppe und als solche können wir wahrgenommen werden und unseren Anliegen Aufmerksamkeit verschaffen. Das ist nicht nur gut für uns, sondern auch für die Allgemeinheit. Unser Projekt richtet sich ebenso an alle, die das Leben in Deutschland aus einer postmigrantischen, vorwiegend nicht-weißen Perspektive besser verstehen möchten; die sensibler werden möchten, und weder offenem noch subtilem Rassismus in Deutschland Raum geben wollen. Was aus unserem Projekt wird, liegt nun bei uns. Wir können nun bei der Entstehung eines Netzwerkes mitwirken und etwas zur Allgemeinbildung beitragen. Wir können uns nun gegenseitig die Aufmerksamkeit schenken, die für ein gegenseitiges Verständnis nötig ist. Lasst uns aktiv sichtbarer werden und unseren Horizont erweitern!


Hey, ich heiße Philipp. Zweiter Name: Selom. Ich bin in einer Kleinstadt in Süddeutschland im Dreiländereck aufgewachsen. Ich studiere Geographie. Mit 14 habe ich das erste Mal ein rassimuskritisches Buch in die Hand bekommen: „Anleitung zum Schwarz sein“ von Anne Chebu. Dies war der Moment, in dem ich zum ersten Mal dazu in die Lage versetzt wurde, viele meiner Kindheits- und Jugenderfahrungen zu verstehen und sie zu artikulieren. Die Beschäftigung mit Rassismus und meinem Schwarz-Sein bringt viel Klarheit in mein Leben und wird mich vermutlich noch weiterhin lange begleiten. Es gibt verschiedene Dinge, die mich empowern. Zum Beispiel Musik. Im Laufe der letzten Monate konnte ich mich in diesem Projekt mit vielen interessanten Personen austauschen und anfreunden. Das hat mich persönlich weitergebracht.

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